Dialektgeographie der deutschen (donauschwäbischen) Mundarten des südlichen Karpatenbeckens

Die Wenkersätze

Geschichtliches

Die Wenkersätze sind die Datengrundlage für den „Sprachatlas des Deutschen Reichs“ des Marburger Germa­nisten Georg Wenker. Der Atlas basiert auf den 40 Sätzen, die Wenker in einer monumentalen Aktion in den Jahren 1876–1887 im gesamten damaligen Deutschen Reich und in Österreich von Lehrern in allen Schulorten abfragen ließ. Es gab Rückmeldungen aus ca. 40.000 Orten mit 45.000 Meldungen. 

Alle Aufnahmen sind vom Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas in Marburg digitalisiert und weiterbearbeitet worden. Einmalig ist, dass Sätze flächendeckend erfasst und einheitlich abgefragt wurden, sie sollten den gleichen Inhalt authentisch in der Mundart wiedergeben. Dadurch ist eine unmittelbare Vergleichbarkeit gegeben.

Es wurden nicht nur die Nennformen sondern auch die flektierten Formen der Sätze ausgewertet. Die korres­pon­dierenden Nennformen wurden nicht extra abgefragt. Die Kartierung der finiten Wörter bietet ein Informa­tionsplus und findet in den großräumigen Wörterbüchern (z. B. im Pfälzi­schen und Südhessischen Wörterbuch), wie auch hier, Anwendung.

Manche Unzulänglichkeit und berechtigte Kritik an der Konzeption und Abfrage Georg Wenkers schmälern keineswegs die große Bedeutung dieses monumentalen Vorhabens. Die Wenkersätze sind eine Kostbarkeit, die von der deutschen Mundart­forschung nicht wegzudenken ist. Nur gesprochene Sprache ist lebendige Sprache und sie beginnt erst mit ganzen Sätzen aufzuleben.

Der auf der Basis der Wenkerschen Aufnahmen erstellte Deutsche Sprachatlas erwirkte einen großen, nachhaltigen Aufschwung der binnendeutschen Mundart-forschung und später auch der Erforschung der Deutschen Sprachinseln in Europa und in der Neuen Welt. Man konnte nun die Sprachinselmundarten nach ihrer Herkunft klassifizieren und benennen. Seither sind die Wenkersätze für jede dialektgeogra-phische Studie unentbehrlich. Auch das vorliegende Projekt ist in diese Entwicklung einzureihen.

Die Siedlungsmundarten haben der deutschen Mundartforschung Einiges zu bieten. Der Vergleich der Mund­arten der Herkunftslandschaft mit den Siedlungsmundarten gibt Auskunft über die unterschiedliche Sprachent­wicklung in den beiden Gebieten. Im heutigen Rheinfränkischen ist der Wandel von <ch> zu <sch> (z. B. ich → isch, Kirche → Kirsche) weit verbreitet. Dagegen findet sich dieser Lautwandel in keiner rhein­fränkischen Siedlungsmundart. Das bedeutet, dass der Wandel erst nach der Abwanderung stattgefunden hat.

Eine Besonderheit ist die als Rhotazismus bekannte Erscheinung, wonach die Wörter, die im Standarddeutschen im Wortinlaut zwischen dem Stammsilbenvokal und einem Vokal oder Sonanten der Nachsilbe ein <d> aufweisen, u. a. im rheinfränkischen Mundartraum heute verbreitet ein <r> /r/ haben, z. B. [b̥ruːrɐ] <Bruder>, [b̥lɛrɐ] <Blätter>, [b̥orm̩] <Boden>, [wɛðɐ] <Wetter>. Der Vorläufer des [r] war jedoch kein [d] sondern ein stimmhafter addentaler oder interdentaler Reibelaut, ein [ð] (wie das stimmhafte engl. <th>). In den vorlie­genden Siedlungsmundarten findet sich dieser Laut noch häufig, Rhotazismus gibt es dagegen nur in sehr wenigen mittel- bzw. südhessischen Mundarten aus der Gegend zwischen Taunus und Darmstadt. Dem­zufolge hat sich der Lautwandel im pfälzischen Raum erst nach der Auswanderung, d. h. im 19. Jahrhundert breitflächig vollzogen.

Auch das verbreitete Vorkommen des uvularen [r] (Zäpfchen-R) ist jüngeren Datums, denn es kommt in keiner Siedlungsmundart vor. Dabei darf nicht übersehen werden, dass in sämtlichen Kontaktsprachen ein Zungen-R gesprochen wird, das eine Stütz­funktion hat.

Dank der spezifischen Wortauswahl in den Wenkersätzen ist auch die Erstellung einer Kurzgrammatik möglich. Unter Anwendung strukturalistischer (formaler) Methoden kann das Phonem­system ermittelt werden, ebenso eine morphologische Übersicht.

Heutiger Forschungsstand

Nach langer Verschnaufpause erfuhren die Wenkeraufnahmen eine Renaissance in Marburg durch die For­schungs­projekte „Digitaler Wenkeratlas (DiWA)“ und „regionalsprache.de (REDE)“. Es werden die Daten der digitalisierten Wenkerauf­nahmen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts den jüngeren umfangreichen Neuauf­nahmen gegenübergestellt und der Wandel der gesprochenen Sprache in den zurücklie­genden hundert Jahren erforscht. Die Projekte erscheinen im Internet und stehen der Wissenschaft und allen Interessierten weltweit zu Verfügung.

Weiteres: https://www.uni-marburg.de/de/fb09/dsa/recherche-und-dokumentationszentrum/wenkersaetze und https://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Sprachatlas#Wenkersätze

Die Wenkersätze im vorliegenden Projekt

Die hier dokumentierten Mundarten sind sprechende Sprachdenkmäler der Mundarten des 18. Jahrhunderts in den binnendeutschen Herkunftsgebieten. Vor Beginn der Mundartaufzeichnungen war das Buch „Der Deutsche Kolonist“ von Johann Eimann (Pesth 1822, 5. Auflage: Speyer 2013) die einzige Quelle, die die sprachlichen Aspek­te des Ansiedlungsprozesses, Mundartmischung und Mundartausgleich, umfas­send und zuverlässig beschrieb.

Die frühesten schriftlichen Wenkeraufnahmen im vorliegenden Forschungsgebiet wurden vor allem von Johann Weidlein und Heinrich Schmidt (Szeged) in den Vorkriegsjahren durchgeführt. Sie sind nicht mehr greifbar oder verschollen. Die erste geographische Gesamtdarstellung der Mundarten der Schwäbischen Türkei ist Johann Weidlein zu verdanken. Sie ist mit einigen Einschränkungen auch noch heute verwendbar.

Die Tonaufnahmen der Wenkersätze wurden seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts durch­geführt, in der Schwäbischen Türkei ab den neunziger Jahren. Eine bedeutende Anzahl von Tonaufnahmen der Mundarten aus dem ehemaligen jugoslawischen Raum entstand durch Eigenfleiß von Hans Gehl, ferner von Mitgliedern der Landsmannschaft der Donauschwaben. Sporadisch finden sich auch heute noch zuverlässige Gewährspersonen.

Durch Einblenden der Mundartwörterbücher der Herkunftsgebiete mit der Applikation „Wörterbuchnetz“ ist eine hervorragende Zuordnung der jeweiligen Siedlungsmundart zur Heimatmundart, und umgekehrt, möglich.

Nach reiflicher Überlegung wurden die Wenkeraufnahmen aus der dialektgeogra­phischen Darstellung des Wort­schatzes nach Sachgruppen ausgegliedert und werden eigenständig präsentiert. Die Vorgehensweise kann aus folgenden Gründen als sinnvoll betrachtet werden: Die hier erfassten Wenkersätze sind die einzigen flächen­deckenden Tonaufnahmen der Mundarten des ehemaligen jugoslawischen Raumes, die für die Besonderheiten der Erforschung der Sprachinselmundarten – Herkunfts­bestimmung, Sprachmischung und Sprachaus­gleich, Vergleichbarkeit mit den Mund­arten der Ursprungs- und Siedlungslandschaft – herangezogen werden können. Die Präsentation der weitaus umfangreicheren, audiobasierten Geolexiko­graphie muss auf die Schwäbische Türkei beschränkt bleiben. Dagegen steht für die lexikographische Bearbeitung der Mundarten des heutigen Serbiens und Kroatiens eine umfangreiche schriftliche Wort­sammlung von Johann Steinmetz zur Verfügung, die als Parallele zur audiobasierten Dia­lekt­geographie in eine Datenbank inkorporiert werden könnte. Die Realisierung hängt nur von den finanziellen Möglichkeiten ab.

Die Donauschwäbischen Siedlungsgebiete

Das südliche Karpatenbecken wurde, neben weiteren Regionen des ehemaligen Kö­nigreichs Ungarn, im 18. Jahrhundert von deutschen Auswanderern besiedelt. Der überwiegende Teil der Siedler kam aus dem rheinfränkischen Großraum. Während die Siedler der Schwäbischen Türkei aus rechtsrheinischen Gebieten (Mittel- und Südhessen, Fuldaer Land) kamen, haben die meisten Siedler östlich der Donau und südlich der Drau linksrheinischen Ursprung (Pfalz, Saarland, Lothringen). Einen bedeutenden Anteil haben die Zuwanderer aus dem ost- und südfränkischen, dem alemannischen (schwäbischen), dem bairisch-österreichischen Raum und sporadisch aus anderen binnendeutschen Gebieten. Vgl. die folgende Übersichtskarte.

Die Herkunftsbestimmung der Mundarten erfordert eine grundlegende Neubewertung, weshalb hier keine weitere Ausführung folgt.

Siedlungsgebiete (Übersichtskarte)

© Donauschwäbische Arbeitsgemeinschaft, Linz – mit freundlicher Genehmigung

Liste der Wenkersätze
  1. Im Winter fliegen die trockenen Blätter in der Luft herum.
  2. Es hört gleich auf zu schneien, dann wird das Wetter wieder besser.
  3. Leg Kohlen in den Ofen, daß die Milch bald anfängt zu kochen!
  4. Der gute alte Mann ist mit dem Pferd auf dem Eis eingebrochen und in das kalte Wasser gefallen.
  5. Er ist vor vier oder sechs Wochen gestorben.
  6. Das Feuer war zu heiß, der Kuchen ist ja unten ganz schwarz verbrannt.
  7. Er ißt die Eier immer ohne Salz und Pfeffer.
  8. Die Füße tun mir so weh, ich glaube, ich habe sie mir aufgerieben.
  9. Ich bin selber bei der Frau gewesen und habe es ihr gesagt, und sie hat gesagt, sie wollte es auch ihrer Tochter sagen.
  10. Ich will es auch nicht wieder machen.
  11. Ich schlage dich gleich mit dem Kochlöffel um die Ohren, du Affe.
  12. Wo gehst du denn hin? Sollen wir mitgehen?
  13. Ach Gott, was sind das für schlechte Zeiten!
  14. Mein liebes Kind, bleib hier unten stehen, die bösen Gänse beißen dich sonst tot.
  15. Du hast heute am meisten gelernt und bist brav gewesen, du darfst auch früher heim als die anderen.
  16. Du bist noch nicht groß genug, um eine Flasche Wein allein auszutrinken, du mußt erst noch wachsen und ein bißchen größer werden.
  17. Geh, sei so gut und sag deiner Schwester, sie soll die Kleider für eure Mutter fertig nähen und ausbürsten.
  18. Hättest du ihn gekannt, wäre es ganz anders gekommen und es würde heute besser um ihn stehen.
  19. Wer hat mir meinen Korb mit Fleisch gestohlen?
  20. Er tat so, als wenn sie ihn zum Dreschen bestellt hätten, sie haben aber alles selber getan.
  21. Wem hat er denn die neue Geschichte erzählt?
  22. Man muß laut schreien, sonst versteht er uns nicht.
  23. Wir sind müde und haben Durst.
  24. Wie wir gestern abend heimkamen, da lagen die anderen schon im Bett und waren fest eingeschlafen.
  25. Der Schnee ist diese Nacht liegen geblieben, doch heute früh ist er weggeschmolzen.
  26. Hinter unserem Haus stehen drei schöne Apfelbäume mit roten Äpfelchen.
  27. Könnt ihr nicht noch ein Augenblickchen auf uns warten, dann gehen wir mit.
  28. lhr dürft nicht solche Kindereien treiben.
  29. Unsere Berge sind nicht so hoch, eure sind viel höher.
  30. Wieviel Wurst und wieviel Brot wollt ihr haben?
  31. Ich verstehe euch nicht, ihr müßt ein bißchen lauter reden.
  32. Habt ihr kein Stückchen weiße Seife auf meinem Tisch gefunden?
  33. Sein Bruder will sich zwei schöne neue Häuser in eurem Garten bauen.
  34. Das Wort ist ihm von Herzen gekommen.
  35. Das war recht getan von ihnen.
  36. Was sitzen da für Vögelchen auf der Mauerecke?
  37. Die Bauern hatten Ochsen, Kühe und Schäfchen vor das Dorf gebracht und wollten sie verkaufen.
  38. Die Leute sind heute alle draußen auf dem Feld und mähen das Getreide.
  39. Geh nur, der braune Hund macht dir nichts!
  40. Ich bin mit den Leuten da hinten über die Wiese ins Korn gefahren.